"Sex, Lügen und Video"

Mittwoch, 19. Oktober 2016 - 2:15

Leserinnenbrief zur ORF-Sendung "Im Zentrum" vom 16.10.2016

Sehr geehrte Redaktion,

unter dem Titel “Sex, Lügen und Video – Bremse oder Turbo für Trump?” wurde am vergangenen Sonntag bei “Im Zentrum” der US-amerikanische Präsidentschafts-Wahlkampf diskutiert und dabei kein sexistisches Klischee ausgelassen.

Hillary Clinton wurde etwa vorgeworfen, nur aus persönlichem Ehrgeiz angetreten zu sein, die erste Präsidentin der USA werden zu wollen und somit die Interessen ihres Landes zu vernachlässigen. Ein Vorwurf, der Männer niemals trifft - Macht, Ehrgeiz und Gestaltungswille sind bekanntlich für Männer reserviert. Frauen hingegen, die nach der Macht in einem politischen Amt streben, machen sich gleich mal verdächtig, auch wenn sie sachlich und emotional weit kompetenter sind. Ein (sexistischer) Befund, den auch die Diskussionsrunde bei “Im Zentrum” teilte - Clinton und Trump wurden als “unbeliebte Kandidaten” auf eine Stufe gestellt.

Mit der entsprechenden Einladungspolitik erspart sich der ORF Kritik: weder eine frauenpolitische Expertin noch eine Politikwissenschafterin kam zu Wort. Stattdessen übte sich Frau Bauer-Jelinek in der Verharmlosung von Sexismus und sexuellen Übergriffen. Sexismus-Vorwürfe seien die “mächtigste Waffe” der Frauen im politischen Diskurs, Missbrauchsvorwürfe und der Zwang zu Political Correctness würden von den schwierigen politischen Problemen ablenken. Dass die Gleichberechtigung der Geschlechter offensichtlich kein ernstzunehmendes Thema ist, demonstrierte auch der ORF-Einspieler “auf der Suche nach den Sachthemen” im US-Wahlkampf. Während Donald Trump im medial verbreiteten Tonbandmitschnitt konkrete sexuelle Übergriffe beschreibt, sah Frau Bauer-Jelinek darin nur “lässiges über Sexualität sprechen”, was in allen Männerrunden - und auch unter Frauen - vorkomme. Dass solche Befunde in einer politischen Diskussionssendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unwidersprochen bleiben, macht die sexistische Struktur unser Gesellschaft mehr als deutlich.

Das Thema US-Wahlkampf wäre für den ORF eine Möglichkeit gewesen, diesen Sexismus zu thematisieren, danach zu fragen, warum nach wie vor deutlich weniger Frauen in der Politik aktiv sind, welche unterschiedlichen Ansprüche an Politiker und Politikerinnen gestellt werden oder warum Männer sich eher (Rechts-)PopulistInnen zuwenden. Diese Chance wurde bei “Im Zentrum” - abermals - versäumt. Keine Überraschung, aber dennoch höchst ärgerlich!