Die Frauenpolitik im Wartesaal

Montag, 6. Februar 2017 - 8:30

Frauenringvorsitzende Ablinger zum Regierungsprogramm-Update

Die beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP haben sich auf ein neues Arbeitsprogramm geeinigt, das unter anderem wichtige Impulse für den Arbeitsmarkt liefern soll. Bei der Durchsicht des 36-seitigen Papiers würde allerdings schnell klar, dass die Frauenpolitik auf dem Abstellgleis gelandet ist, kritisiert Sonja Ablinger, Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings.

Im Regierungsprogramm fänden sich zwar durchaus positive Aspekte – Ablinger begrüßt etwa die nach deutschem Vorbild geplante Frauenquote in Aufsichtsräten von börsenotierten Unternehmen und von Unternehmen mit mehr als 1.000 MitarbeiterInnen. Ein flächendeckender Mindestlohn von mindestens 1.500 Euro würde ebenso besonders Frauen zugutekommen. Und nicht zuletzt vom Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen würden Frauen profitieren. Insgesamt gebe, so Ablinger, „aus frauenpolitischer Sicht aber Anlass für Kritik“.

 „Statt auf zentrale, langjährige Forderungen etwa im Bereich Gewaltschutz, Unterhaltsreform, eigenständige soziale Absicherung und geschlechtergerechte Bezahlung zu fokussieren, präsentiert die Regierung ein Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum und unterstellt damit, dass die Burka das große Thema wäre“, meint Ablinger. So würden auf dem Rücken von Frauen rechtspopulistische Diskurse befeuert. Auch in der Verpflichtung des Staats, im öffentlichen Dienst "weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten" – gemeint sind vor allem PolizistInnen, StaatsanwältInnen oder RichterInnen – sieht Ablinger vor allem das von Integrationsminister Sebastian Kurz zuletzt geforderte Kopftuch-Verbot im öffentlichen Dienst durchzusetzen. In einem nicht-laizistischen Staat wie Österreich, in dem Konkordat und Religionsrahmengesetze den Kirchen umfassende Rechte (Schulbücher, Theologische Fakultäten u.v.m.) zubilligen, erscheint diese Forderung paradox.

„Wer Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft und Frauen in ihrer Selbständigkeit stärken will, muss bei ökonomischer Eigenständigkeit, Bildungschancen und Arbeitsmarktpolitik ansetzen“ sagt Ablinger. Ein Kopftuchverbot würde zuallererst Ressentiments gegen Minderheiten und insbesondere gegen Frauen dieser Minderheit schüren. „Als Maßnahme für Gleichstellungspolitik sei es gänzlich ungeeignet“, so Ablinger

Die Frauenring-Vorsitzende übt auch Kritik an den geplanten Verschärfungen im Bereich Asyl, wie die Streichung des Taschengelds für Personen, die kein Asyl erhalten, vor Ablauf der Ausreisefrist oder die Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit. Diese Maßnahmen würden Frauen besonders hart treffen. Verbesserungen, um asylsuchende Frauen und Mädchen effektiv vor Gewalt zu schützen, fehlen, so Ablinger, hingegen im Programm der Regierung.

„Es gibt, so heißt es, nun erstmals ein Programm mit genauem Zeitplan – die Politik für Gleichberechtigung wird allerdings einmal mehr in den Wartesaal verbannt. Das ist eine herbe Enttäuschung, gerade angesichts des jüngsten Gender Gap Reports“, sagt die Frauenring-Vorsitzende. Dieser stellte vor kurzem fest, Gleichstellung wird, wenn sie im aktuellen Tempo weiterkriecht, erst in 170 Jahren erreicht sein.

„Es ist enttäuschend, dass es nicht eine einzige jener frauenpolitischen Forderungen in das Regierungsupdate geschafft hat, die Frauenorganisationen, der Frauenring und seine Mitgliedsorganisationen seit Jahrzehnten einfordern“, resümiert Ablinger.

Als Mindestprogramm verweist Ablinger darum auf die lang bekannten Forderungen:

• Reform der Einkommensberichte (in Hinblick auf Transparenz, Unternehmensgröße, Kriterien und Konsequenzen)

• Einrichtung einer Stabstelle zur Förderung der betrieblichen Gleichstellung und Entgeltgleichheit

• Offenlegung der Gehälter und branchenübergreifende Verfahren zur Arbeitsbewertung:      
Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit!

• Zugang zur Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs in ganz Österreich, unabhängig von Einkommen und Wohnsitz

• Reform des Unterhalts- und Unterhaltsvorschussgesetzes, um die Armut von Alleinerzieherinnen und deren Kinder zu bekämpfen

• Ausbau und Absicherung von Frauenhäusern

• Mehr Ressourcen für Präventions- und Täterarbeit, mehr Mittel für Ausbildung von interkultureller Kompetenz in der Beratungsarbeit. Dazu gehört auch der Ausbau von Schulungs- und Fortbildungsprogrammen in der Exekutive und in der Justiz.

• Schutz und Sicherheit für flüchtende Frauen und LGBTIQ-Personen im Asylverfahren durch Einsatz von speziell geschultem und sensibilisiertem Personal und Gewährleistung von sicheren Unterbringungsmöglichkeiten

• flächendeckender (d.h. regionaler) Ausbau von Frauenservicestellen und Frauenberatungseinrichtungen und bessere finanzielle Absicherung

• Ende der Anrechnung des Partnereinkommens und die Zuerkennung der eigenständigen Ansprüche bei der Notstandshilfe

• wirksamer Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz

• vollständige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partner*innenschaften