Locomotion

Dienstag, 19. April 2016 - 12:15

Laudatio für Gabriella Hauch
von Helene Maimann

Als Gabriella Hauch in Salzburg das Licht der Welt erblickte, 1959, hatte eine blutjunge amerikanische Rockröhre namens Brenda Lee mit "Sweet Nothings" ihren ersten großen Hit. Ihre Kollegin Wanda Jackson, genannt die wilde Wanda, war schon länger ein Star unter den amerikanischen Rhythm and Bluessängerinnen - und davon gab es nicht wenige: Vor allem waren es schwarze Sängerinnen: Dionne Warwick. Nina Simone. Aretha Franklin. Sie waren alle junge Rebellinnen, von denen wir hier aber nichts mitbekamen. Gabriella war gerade drei Jahre alt und ging in den Kindergarten, als eine junge Afroamerikanerin die Hitcharts stürmte, mit einem Song, der Gabriellas schwungvolle Karriere viele Jahre vorhersah und ihr ein lebenslanges Motto verpasste: die junge Frau hieß Little Eva. Geschrieben hat diesen Song die damals zwanzigjährige große amerikanische Komponistin und Singer-Songwriterin Carole King aus New York.

Locomotion heißt übersetzt die Fähigkeit zur ständigen Fortbewegung, Ortsveränderung, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Der Song wurde sofort zum Motto vieler junger Frauen Anfang der Sechziger, ein Synonym für Spirit, Offenheit, Bewegung, Veränderung. Es ist eines der ersten Lieder für Self Empowerment. Er wird bis heute von den jungen amerikanischen Mädchen gesungen und getanzt - "in a chain", also in einer Kette, die Arme ineinander verschränkt, "to get the knack", um den Dreh herauszubekommen - wozu auch immer.

Hier kündigte sich der junge Feminismus an.  Diese Musikerinnen sangen durchaus nicht so, wie man es sich von ihnen erwartete. Sie waren nicht nur nice and easy. Nur bei uns im Staats-Radio waren sie nicht zu hören. Hätte es nicht Radio Luxemburg gegeben - wären wir jungen Mädels mit unseren Ballerinas ausschließlich durch den klebrigen Musiksumpf der österreichischen Nachkriegszeit gewatet.  Bis Ende der Sechziger Jahre,  als Gabriella von ihren Eltern für ein wirtschaftskundliches Gymnasium für Mädchen angemeldet wurde, in Wien respektlos "Knödelakademie" genannt,  war die österreichische Nachkriegswelt in einem Ausmaß geschlechtsspezifisch parifiziert, wie man sich das heute überhaupt nicht mehr vorstellen kann. Gerade im Radio.

Der Direktor der Sendeanstalt, ein katholischer Volksbildner, hieß übrigens Dr. Alfons Übelhör, der sein Büro um die Ecke des Funkhauses in der Taubstummengasse hatte.

Sein Zielpublikum war vor allem weiblich und wurden einschlägig verköstigt: Der Vormittag gehörte den Hausfrauen mit Sendungen wie "Was koche ich heute" und Tipps zur richtigen Wäschepflege. Danach sorgte "Vergnügt um elf" für die richtige Stimmung, ein bekömmliches Mittagessen auf den Tisch zu zaubern, wenn der Chef nach Hause kommt. Nachmittags, rechtzeitig zur Bügelstunde, kam dann "Ein Gruß an dich", auch Erbschleichersendung genannt, in der praktisch täglich das Roland Trio mit dem Lied "Sei zufrieden" zu hören war. Darin die unvergesslichen Zeilen: "Was nützt das viele Denken, bleibt die Welt doch wie sie war". An den Universitäten regierten die Professoren, aber sehr viele Denkanstösse kamen nicht hinaus ins Freie.

Das war in den Siebziger Jahren nicht mehr ganz die richtige Ansage. Gabriella schwor sich nach der Matura, keinen Kochlöffel mehr anzurühren, niemals eine Hausfrau zu werden und auf die Uni Salzburg zu gehen.  Sie begann Geschichte und Germanistik zu studieren und bekam sehr bald heraus, dass die Welt zwar rundherum voll interessanter Frauen war, die auch zunehmend in Bewegung gerieten, darüber aber es nur wenig zu erfahren gab. Offenbar waren die Frauen weder in der Geschichte noch in der deutschen Literatur ein Thema, über das einer ernst zu nehmenden Wissenschaft es wert gewesen wäre, sich den Kopf zu zerbrechen und nach den Quellen zu suchen. Gabriella begann die Geschichte der Frauen zu erforschen, und sie hat damit bis heute nicht aufgehört. Sie hat die Frauengeschichte des 19. Jahrhunderts und eines großen Teils des vergangenen 20. Jahrhunderts durchreist, hunderte Artikel und mehrere Bücher publiziert und das Fach "Frauengeschichte" als Professorin zuerst in Linz und dann, ab 2011, an der Wiener Universität fix etabliert. Und sich vor allem für die Frauen in den sozialen und politischen Bewegungen interessiert.

Was das Interessante an Gabriella aber war und ist - sie tat das nicht aus einem distanzierten akademischen Interesse heraus, sondern, wie das in den Siebzigern gang und gäbe war, aus einem durchaus persönlich definiertem erkenntnisleitenden und anteilnehmenden Interesse heraus. Sie war und ist ist immer auch Teil dieser Bewegung gewesen, Teil der Frauenbewegung. Es ging dabei nicht nur um die "großen" Fragen der Frauenbewegung - gleiche Chancen, gleicher Lohn, Abschaffung diskriminierender Paragraphen wie das Abtreibungsverbot, sondern durchaus auch um regelmäßige Agitation, um Öffentlichkeit, Büchertische, Flugblattaktionen, Demonstrationen. Es ging um Geschlechterbeziehungen, um das Private, das politisch ist. Ihre akademische Karriere betrieb sie mit großer Zielstrebigkeit und Fleiß - ebenso: jede Menge Locomotion - an jenem Institut, wo wir einander vor jetzt genau dreißig Jahren trafen: Am Institut für Neuere und Zeitgeschichte in Linz. Ich war damals der traditionellen akademischen Forschung schon abtrünnig geworden, als ich die Medien Ausstellung - damals war es die "Kälte des Februar" und später  das Radio und den Film für mich entdeckt hatte. 1990 habe ich den Job im Linzer Institut an den Nagel gehängt, Gabriella hat ihn kurz darauf übernommen und daraus das Beste gemacht, wozu eine Frau - und oft nur eine Frau - fähig ist: Nämlich etwas Neues zu machen, ein Gebiet zu besetzen, wo noch niemand war und die Männer ohnehin der Meinung waren, das es sich nicht auszahlt, dort überhaupt hinzuschauen, weil nichts zu finden ist, das sich zu finden lohnt. Schwerer Fehler. Denn die Frauenwissenschaften, besonders die Frauengeschichte haben ein völlig neues Bild unserer Gesellschaften zugänglich gemacht, und wie sich zeigt, in sehr vielen anderen Wissenschaften auch.

In diesen dreißig Jahren haben sich die Lebenswelten für die Frauen in einem für uns damals unvorstellbaren Ausmaß geändert. Das ging nicht ohne Widerstand vor sich. Nicht nur für uns in der westlichen Welt. In vielen anderen Teilen der Welt war und ist es weitaus schwieriger. Dennoch: Frauen sind nicht nur aus keinem Bereich der Gesellschaft mehr wegzudenken, egal, in welcher Funktion. Es geht weit darüber hinaus: Die Welt von morgen, so der Direktor des UN Büros, Selim Jahem, ist ohne Frauen nicht mehr zu denken. Ich zitiere aus dem vor wenigen Tagen veröffentlichten UN-Report über die Entwicklung der Menschheit, die gerade für Frauen sehr ermutigende Daten bereithält: Frauen sind heute essentiell, wohin der Weg gehen wird. Sie sind entscheidend im  Kampf gegen Armut und Unwissenheit. Ihr Zugang zur Lösung von Problemen ist konstruktiver und friedlicher, ihnen sind Aspekte des sozialen Zusammenhalts wichtiger als Männern und sie sind - vor allem, wenn es um wirtschaftliche Entscheidungen geht - um vieles umsichtiger und vorausdenkender als Männer. Sie haben den entscheidenden Anteil und Einfluss daran, welche Entwicklung ein Land nimmt. Wir sehen das in allen Ländern, wo Frauen die Chance ergreifen können, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, ob das in Asien, Afrika oder Südamerika ist. Ich würde hinzufügen: Auch ihr kreatives Potential ist nach wie vor ein noch nicht wirklich gehobener Schatz. Und was die Frauengeschichte angeht:  Es ist für eine Gesellschaft von größter Bedeutung, welche Geschichte und welche Geschichten ihre Frauen zu erzählen haben. In diesem Sinn gratuliere ich Gabriella für ihren Preis und wünsche ihr auch in Zukunft jede Menge Locomotion.